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28.01.2008, 21:04 Uhr
Hans
Library Walker (Operator)
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Zitat von ~Suba Esel: |
Also ist Neoliberalismus im Prinzip Kapitalismus in reinster Form?
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Kann man so sagen, obwohl ich sagen würde in extrem verschärfter Form.
Zitat von ~Suba Esel: |
Dann wäre Nicht-Neoliberalismus ja Kommunismus, und das kann auch keiner wollen.
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Nein, das ist falsch. Es gab in der Zeit von 1945 bis 1982 in Deutschland die sogenannte "Soziale Marktwirtschaft". Das war auch ein vom Kapitalismus geprägtes Modell, aber mit ein paar wesentlichen Unterschieden: Da wurde Schulen und Hochschulen komplett vom Staat unterhalten, (weshalb die Lehrer auch fast alle Beamten waren.) Ebenso waren die Post und die Bahn "Staatsbetriebe" in dem Sinne, das sie vom Staat betrieben wurden, und nicht von irgend einem Privatunternehmen. Deshalb mussten sie aber trotzdem so arbeiten, das kein Geld verschleudert wurde. (Das klappte zwar nicht immer, aber das ist ein anderes Thema.) Der Vorteil war, das es in Sachen Post in den Städten zum Beispiel in Abständen von knapp einem Kilometer einen Briefkasten gab. Oder jedes Dorf ein eigenes Postamt hatte. Da ausserdem das Telefonnetz von der Post betrieben wurde, brauchte man sich nicht durch unterschiedliche Tarifsysteme zu kämpfen, um den für sich passenden Anbieter zu finden, es gab ja nur einen. - Okay, das muss kein Vorteil sein, ist aber einfacher. Bei der Bahn war es so, das durch jede kleine Stadt auch ein Zug durch fuhr, sofern da Schienen lagen und sie einen Bahnhof hatte. Wie oft der Zug fuhr ist eine andere Frage, wichtig ist, das überhaupt einer fuhr. Heut zu Tage ist es ja so, das zwar irgendwo Schienen liegen, nur fährt da kein Zug mehr. (Und wenn Herr Mehdorn mit seiner Privatisierungspolitik erfolgreich ist, werden als erstes wieder ein paar Strecken stillgelegt.)
Der Punkt ist also: Es geht darum, Dinge zu organisieren, die für alle Menschen im Land nötig und nützlich sind, egal wer sie sind und wieviel Geld sie haben. Dazu gehört der öffentliche Nahverkehr, also Busse und Bahnen, die Strom- und Wasserversorgung, Müllabfuhr, Strassenbau und instandhaltung, und eben auch die Bildung die in diesem Fall bei Kindergärten und Kindertagesstätten anfängt, über die Grundschule und Mittelschule (Haupt-, Real-, Gesamtschule, Gymnasium, Berufschule) bis zur Universität (=Hochschule) geht. Ein ganz wichtiges (aber auch Schwieriges) Thema ist auch die Kultur. Dazu gehören dann z.B. Theater, Opernhäuser, Filmförderung. Hab ich noch was vergessen? - Ja richtig, die Gesundheit, also Krankenhäuser, Reha-einrichtungen, Beratungsstellen, wenn man Probleme hat. Das kostet alles Geld, lässt sich aber in vielen Fällen nicht Gewinnbringend organisieren, zumindest nicht so, das Einzelne dabei Geld kassieren können. Der Gewinn liegt vielmehr darin, das alle Menschen die hier leben davon profitieren. (Dazu kann man übrigens in der Zeitung lesen: Neue Nachdenklichkeit.)
Wie ich das jetzt dargestellt habe, ist der Blickwinkel der sogenannten Volkswirtschaft. Die ist von der Betriebswirtschaft zu Unterscheiden. In der Betriebswirtschaft geht es um einen einzelnen Betrieb, also eine Firma. Ziel der Betriebswirtschaft ist, diese (und nur diese eine) Firma am laufen zu halten. Dagegen steht die Volkswirtschaft. Die muss sich nicht um einen einzelnen Betrieb kümmern, sondern darum, das die vielen verschiedenen Betriebe nebeneinander existieren können. Und wie oben schon dargestellt, gibt es Dinge, die sich nur schwer so organisieren lassen, das sie allen nützen, und dabei noch Gewinn abwerfen. (Bildung und Gesundheit wären Beispiele dafür.) Hier besteht die Aufgabe der Volkswirtschaft darin, diese Dinge bereit zu stellen, zu finanzieren und am laufen zu halten. Oder, andere Perspektive: In einer Branche, sagen wir mal der Baubranche sieht es gerade wieder schlecht aus, weil nicht genügend Aufträge da sind. Dann ist die Aufgabe der Volkswirtschaft, dafür zu sorgen, das da wieder Aufträge rein kommen ,das die Betriebe nicht Pleite gehen. (Wenn sie doch Pleite gehen, gibt es mehr Arbeitslose.) In diesem Beispiel müsste der Staat sich irgendwelche sinnvollen Massnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur ausdenken, und entsprechende Aufträge vergeben.
Damit haben wir einen weiteren Unterschied zwischen der Sozialen Marktwirtschaft und dem Neoliberalismus. Der Neoliberalismus ist auf Betriebswirtschaft fixiert. Das bedeutet, das auch die Volkswirtschaft nach betriebswirtschaftlichen Kriterien gesteuert werden soll. Und das funktioniert nicht.
Der Kommunismus setzt die Prioritäten noch anders. Zumindest im Ostblock war es so, das der Staat da alles festgelegt hat. Das heisst, er hat es versucht, es hat aber nicht funktioniert. Und privatwirtschaftliches Handeln war nicht gestattet.
Zitat: |
Wieso kommt das alles (Schulbücher selbst bezahlen, Städte kein Geld für Schulen, Schulen kein Geld für Material, zu wenig Lehrer) denn vom Neoliberalismus? Das Deutschland zuwenig Geld für Bildung ausgibt, ist mir klar (laut meinem Vater geht das Geld in die Bürokratie, schade dass Kirchhoff nicht Finanzminister geworden ist), aber ich versteh nicht, wieso das am Neoliberalismus (=Kapitalismus) liegt.
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Also erst mal: Dass das Geld alles in die Bürokratie geht, ist ein Totschlagargument, das dazu dient, eine sachliche Untersuchung zu verhindern, die erklärt wo das Geld tatsächlich bleibt. Dann kommt die Steuerpolitik ins Spiel. Es wird ja immer behauptet, das die Steuern zu hoch sind. Der Haken dabei ist der, das die Leute, die das behaupten zwar als Einzelne vielleicht grosse Summen bezahlen müssen. Aber in der Masse der Bevölkerung, die Steuern bezahlen muss, sind sie eine Minderheit. Das führt in der Summe dazu, das der Staat insgesamt weniger einnimmt. Dann gibt es noch den Unterschied zwischen Kapitaleinkommen und Arbeitseinkommen, dazu erklärt Wikipedia:
Zitat von Wikipedia: |
Arbeitseinkommen entsteht durch die Produktion oder den Tausch von Gütern, Leistung abhängiger Arbeit gegen Arbeitsentgelt und anderen Ansprüchen in einem Markt. Kapitaleinkünfte entstehen durch Zinsen, Dividenden, Einnahmen durch Miete und Pacht.
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Die Steuerpolitik ist nun in den letzten Jahren so gestaltet worden, das auf Kapitaleinkünfte (=Kapitaleinkommen) immer weniger oder auch gar keine Steuern mehr erhoben werden. Sondern nur noch auf Arbeitseinkommen. Auf der anderen Seite werden aber an den sogenannten Kapitalmärkten, d.h. an der Börse die grössten Umsätze gemacht. Die Umsätze sind so gigantisach, das dort an einem einzigen Tag Geldmengen die Besitzer wechseln, wovon ein Staat wie Deutschland seinen gesamten Jahreshaushalt finanzieren könnte. Und das passiert in Deutschland fast Steuerfrei. Interessant dazu: Die Webseiten von Joachim Jahnke.
Hans -- Man muss nicht alles wissen, aber man sollte wissen, wo es steht. Zum Beispiel hier: Nachdenkseiten oder Infoportal Globalisierung. |